Anekdoten
„Dick wie ein Oberschenkel, nackt wie ein Deutscher“
Seine Vorlesungen an der Uni Wittenberg lockerte Melanchthon mit vielen Geschichten auf und zog so oft über 400 Studenten in seinen Hörsaal. Fleißig mitschreibende Studenten haben Tausende solcher Erzählungen überliefert.
Eine Auswahl von Stefan Rhein
Albrecht Dürer erzählte mir über Kaiser Maximilian, dass des Maximilians Arme so dick waren wie sein Oberschenkel. Albrecht selbst aber war von keiner geringen Statur. Als Maximilian in hohem Alter auf einem Turnier in Augsburg war, kämpfte er dort mit Adeligen; sie stellten starke Latten auf und maßen sich im Schleudern von Wurfspießen, wer mehr durchbohren könne. Maximilian durchbohrte mit einem Wurf zwei Latten, was keiner unter den Adeligen vermochte. Damals war Maximilian 59 Jahre alt. Heutzutage sind die Körper der Menschen nicht mehr so stark, sie werden schwächer.
Der türkische König befahl einmal, ihm sollten die Kleidungen aller Völker aufgezeichnet werden. Als der Maler die Gewänder der meisten Völker dargestellt hatte, malte er schließlich einen nackten Menschen und dicht daneben verschiedene Farben. Später, als der Künstler vom König zur Auskunft über seine Zeichnung aufgefordert wurde und nachdem er die übrigen erklärt hatte, sagte er: „Jener Nackte ist ein Deutscher, für den man keine bestimmte Kleidungsart zeichnen kann, weil er sich täglich eine neue ausdenkt.
In Leipzig litt ein Mann, den, wie ich glaube, noch viele heute Lebende kennen, an so starker Melancholie, dass er glaubte, er sei tot. Er ging in den Keller hinab, in dem er Tag und Nacht herumging und mit gedrückter Stimme sprach: „Ich bin tot, ich bin tot.“ Und diese Worte wiederholte er ständig. Seine Freunde und Verwandte gingen zu ihm hinab und wollten ihn aus dem Keller herausholen. Er aber sprach: „Was begehrt ihr? Was wollt ihr? Ich bin tot.“ Und wollte nicht mit ihnen hinaufgehen. Endlich wurde von klugen Ärzten ein kluger Ratschlag ersonnen, nämlich dass ein kräftiger und gefräßiger Mönch herbeigebracht wurde. Er wurde also zu ihm geführt und im Keller wurde ein üppiges Mahl gerichtet. Der Mönch tritt in den Keller, setzt sich an den Tisch, rülpst ganz viel und beginnt gleichzeitig zu fressen. Der Melancholiker tritt näher, setzt sich an den Tisch und fragt den Mönch, wer er sei. Der antwortet mit gedrückter Stimme: „Ich bin tot, ich bin tot.“ Nachdem er diese Antwort hört, fragt der Melancholiker weiter: „Wer bist du?“ Und der Mönch antwortet wiederum: „Ich bin tot.“ Darauf der Melancholiker: „Essen denn auch die Toten?“ Da antwortet er: „Ja, komm her, setz dich an den Tisch und iss mit mir!“ So setzte sich der Melancholiker an den Tisch und aß kräftig. Durch diesen Scherz ist er geheilt worden und wieder zur alten Gesundheit gelangt.